Soziale Landwirtschaft in Europa

Im Gespräch mit dem Landwirt der Initiative "Archimede"

Im Gespräch mit dem Landwirt der Initiative „Archimede“

Humanitas: eine Einrichtung mit Gartenbau für Menschen mit psychischen Problemen...

Humanitas: eine Einrichtung mit Gartenbau für Menschen mit psychischen Problemen...

...und Olivenhainen

...und Olivenhainen

Haltung einer vom Aussterben bedrohten Rinderrasse in der Gemeinschaft für Menschen mit Behinderung: Il Forteto

Haltung einer vom Aussterben bedrohten Rinderrasse in der Gemeinschaft für Menschen mit Behinderung: Il Forteto

Blick auf die Käserei von Il Forteto

Blick auf die Käserei von Il Forteto

Kaninchenhaltung in Il Fonte

Kaninchenhaltung in Il Fonte

Agrotourismo und Social Farming: durch Menschen mit psychischen Behinderungen gepflegte Landschaft in der Toskana

Agrotourismo und Social Farming: durch Menschen mit psychischen Behinderungen gepflegte Landschaft in der Toskana

Unser Ausgangspunkt

Schon immer existieren in allen ländlichen Gebieten Europas Formen gesellschaftlicher Solidarität, gegenseitiger Hilfe und sozialer Integration. Teilweise lässt sich von „sozialer“ oder „pflegender“ Landwirtschaft sprechen, die zur Wiedereingliederung benachteiligter, der Pflege und/oder der Integration von Menschen mit geringer Belastbarkeit (z.B. psychisch-physisch Beeinträchtigte, Menschen in Strafvollzug, Drogenabhängige, geistig Behinderte, Emigranten) beiträgt.

Integration und Therapie

Damit ermöglicht Soziale Landwirtschaft die Integration benachteiligter Personen in lebendige Zusammenhänge, in denen ihre Persönlichkeit geschätzt und Entwicklungspotenziale gefördert werden können. Der Umgang mit und die Beziehung zu den Landwirten, der Kontakt mit Lebewesen – Tieren und Pflanzen – und die Übernahme von Verantwortung im Tun sind einige der Schlüsselfaktoren, durch die Soziale Landwirtschaft eine therapeutische Wirkung entfalten kann.

Ethische Motivation und steigendes Interesse

Überall im ländlichen Europa existieren Beispiele – traditionell geprägte und erst kürzlich entstandene – für die Verzahnung landwirtschaftlicher und sozialer Aktivitäten. Oft beruhen diese Aktivitäten auf ethisch motivierten Einstellungen der Akteure, die damit autonom, individuell und im Verborgenen im Interesse der Gesellschaft handelten. Häufig fehlt Sozialen Landwirtschaften aufgrund dessen der gesetzliche und institutionelle Rahmen, was die die Untersuchung solcher Ansätze zusätzlich erschwert.

Das Phänomen der Sozialen Landwirtschaft erscheint als ein sich entwickelndes, dynamisches Szenario, das zunehmend bei Entscheidungsträgern Beachtung findet und in mehreren Ländern zur Entstehung neuer Strukturen geführt hat. Dies resultiert unter anderem aus einer neuen, überwiegend positiven Wahrnehmung landwirtschaftlicher und ländlicher Ressourcen. Die Bedeutung natürlicher Räume und landwirtschaftlich geprägter Gebiete für das soziale, physische und psychische Wohlbefinden von Menschen stößt (auf verschiedenen Ebenen) auf zunehmendes Interesse. Gesundheitseinrichtungen befürworten alternative Therapieformen, die in soziale Zusammenhänge eingebettet sind.

Alternativen für Landwirte

Ein weiterer Grund, warum Soziale Landwirtschaft zunehmend Beachtung findet, ist dass sie Landwirten neue Perspektiven gibt: Alternative Dienstleistungen anzubieten, das Spektrum ihrer Aktivitäten zu erweitern und zu diversifizieren – und damit auch ihre Rolle in der Gesellschaft. Die Kombination landwirtschaftlicher Tätigkeit mit sozialen Leistungen kann neue Einkommensquellen für Landwirte erschließen, das Bild der Landwirtschaft in der Gesellschaft verbessern und neue Beziehungen zwischen Bewohnern ländlicher und städtischer Gebiete eröffnen.

Vom Flickenteppich zum professionellen Berufsfeld durch Partizipation

In den meisten Ländern und in Europa präsentiert sich Soziale Landwirtschaft nicht als ein organisiertes System, sondern stellt sich als kaum strukturiertes oder organisiertes Flickwerk dar. Oft wird sie von ehrenamtlicher Tätigkeit und spontanen Initiativen getragen, die kaum politisch oder institutionell unterstützt werden. Der Bedarf an einer Erweiterung und Verbesserung des Angebots sozialer Leistungen multifunktionaler Landwirtschaft ist offensichtlich.

Der Aufbau eines übergreifenden „Systems“ für Sozialen Landbau erscheint als ein längerfristiger evolutiver Prozess, der auf den Erfahrungen derjenigen (ländlichen) Akteure aufbauen sollte, die den Weg für die Entwicklungen bis heute geebnet haben.

Bei der Ausweitung und Professionalisierung Sozialer Landwirtschaft sollte der drohende Verlust der originären Werte und Ideale wie Solidarität und Verantwortung vermieden werden, die prägend für viele Pionierprojekte waren. Daher erfordert die Schaffung einer neuen institutionellen Umgebung für den Sozialen Landbau höchste Anstrengungen, die beteiligten Akteure in einen Dialog zu integrieren, durch den eine aktive Partizipation traditioneller und aktueller Akteure sichergestellt wird.

Die Unterschiede Sozialer Landwirtschaft in den europäischen Ländern

Die Situation Sozialer Landwirtschaft unterscheidet sich innerhalb der europäischen Länder deutlich, weil die Gesetzgebung für Gesundheit und Soziales und damit die Organisationsformen der sozialen Hilfe (z.B. Kostenträger, Höhe der Unterstützung, Zentralisierung betreuter Menschen in Heimen und Einrichtungen oder Dezentralisierung durch Integration in Familienbetriebe) sehr unterschiedlich sind.

In ihrer Entstehung unterscheiden sich Bauernhöfe, die (oft nachträglich) einen therapeutischen Arbeitszweig in einen marktwirtschaftlich orientierten Betrieb integriert haben, von therapeutischen Einrichtungen, bei denen die soziale Arbeit im Vordergrund steht und der Landwirtschaftsbetrieb als Betätigungsfeld unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten weniger ins Gewicht fällt. In einigen europäischen Ländern existieren sehr viele Care Farm -Initiativen mit zentraler Organisation und solider staatlicher Unterstützung, während in anderen Ländern bisher nicht vorhandene Pflegesätze keine Anreize für landwirtschaftliche Betriebe bieten. In Deutschland ist die Möglichkeit zur Integration von behinderten Menschen in landwirtschaftliche Betriebe u.a. durch die gesetzlich geregelte Zusammenfassung in zentralen Werkstätten für Behinderte (WfbM) eingeschränkt.